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Generation Botox

Sissi St. Croix
Generation Botox

In Würde zu altern war noch nie so schwer wie heute. Anti-Aging ist in aller Munde. Oder sollte ich besser sagen: auf jeder Haut? Vorbei die Zeiten, in denen die Medien das Charaktergesicht einer Inge Meysel feierten. Heute halten wir krampfhaft an unserer Jugend fest. Denn wir sind die Generation Botox. Egal, ob mit 20, 40 oder 60: Wir tragen Skinny Jeans mit bauchfreiem Oberteil, treffen uns mit Freunden zum Aerial Yoga oder Parkour und tanzen uns an den Wochenenden auf schwindelerregend hohen High Heels im Club die Füße wund. So richtig erwachsen sein will hingegen niemand mehr. Warum eigentlich nicht? Eine Frage, die ich mir oft stelle. Sehr oft.

Wieso sind viele Frauen meiner Generation erst dann zufrieden, wenn sie mindestens zehn Jahre jünger aussehen als ihre Töchter und mit ihnen die Klamotten tauschen können? Und warum zelebrieren eben diese Töchter eine makabre Plastikpuppenexistenz mit tätowierten Augenbrauen, falschen Klimperwimpern und aufgespritzten Lippen, bei deren Anblick selbst Ruth Handler, Mutter der Barbie-Puppe, speiübel würde? Diese wahnhafte Überbewertung des Jungseins und die Glorifizierung künstlicher Körperteile machen mich krank.

 

Die Altersgrenzen verschwimmen

Dabei ist das Phänomen an sich nicht einmal neu. Es gab zu allen Zeiten attraktive Frauen, an denen die Jahre scheinbar spurlos vorüberzogen. Und die dafür von der Gesellschaft bewundert wurden. Doch anders als heute, standen diese Frauen zu ihrem wahren Alter. Sie schummelten nicht in ihrem Personalausweis oder mit Photoshop, führten sich nicht wie durchgeknallte kleine Mädchen auf und halfen ihrem guten Aussehen weder mit Botox noch mit Hyaluron auf die Sprünge. Allenfalls stilsicher gewählte Kleidung und ein bisserl Make-up galten als probate Mittel, die eigene Jugendlichkeit zu unterstreichen.

In der Generation Botox jedoch hören Eltern dieselbe Musik wie ihre Kinder, betreiben dieselben Trendsportarten und tragen dieselbe Kleidung. Die Grenzen zwischen den Generationen sind aufgehoben. Sicher, einiges davon finde ich gut. Zum Beispiel, was die Kleidung betrifft. Ich muss mit meinen 48 Jahren nicht auf Minirock und hohe Stiefel verzichten (zumindest nicht, wenn ich dazu Strumpfhosen trage). Das ist mein Look, das bin ich. Und so kommt es für mich natürlich nicht infrage, meinen »betagten Körper« im biederen Kostümchen plus Twinset zu verstecken. Dennoch vergesse ich nicht, dass ich 48 bin. Weder Schönheitsoperationen noch kosmetische Mittel könnten über mein wahres Alter hinwegtäuschen. Und das möchte ich auch gar nicht. Ich bin nämlich stolz darauf, kein Opfer des Dorian-Gray-Syndroms zu sein!

 

»Lieber Dorian, das ist sehr wahr. Ich bin gerade mit einer Analyse der Weiber beschäftigt, daher muß ich es wissen. Der Gegenstand ist nicht so verworren, wie ich dachte. Ich finde, es gibt schließlich nur zwei Arten von Frauen, die schlichten und die geschminkten. Die schlichten sind sehr nützlich. Wenn du in den Ruf der Ehrbarkeit kommen willst, mußt du nur mit einer von ihnen zu Abend essen gehn. Die andern Frauen sind sehr reizend. Einen Fehler jedoch begehen sie: sie gebrauchen Farbe in der Absicht, jung auszusehn. Unsre Großmütter gebrauchten Farbe, um glänzend zu plaudern. Rouge und Esprit gingen gewöhnlich zusammen. Das ist jetzt alles vorbei. Solange eine Frau zehn Jahre jünger aussehn kann als ihre Tochter, ist sie völlig zufriedengestellt. Was die Unterhaltung angeht, so gibt es nur fünf Frauen in London, mit denen es sich zu reden lohnt, und zwei davon sind in anständiger Gesellschaft unmöglich. Indessen, erzähle mir von deinem Genie! Seit wann kennst du sie?« – Harry in Oscar Wildes: »Das Bildnis des Dorian Gray«

 

Von Brathendln, Brust-OPs und Bauchstraffungen

Wenn ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umblicke, fühle ich mich oft wie in einem Kuriositätenkabinett. Die Mutter geht gemeinsam mit der Tochter zur Brustvergrößerung. Yay! Früher fuhr man am Wochenende mit der Familie zum Wandern, heute lässt man sich mal eben so in Polen oder Tschechien Implantate einpflanzen. Papa stählt derweil im Fitnessstudio seine Muskeln, damit er am Montag im Büro wieder den Hengst machen kann. Andere Frauen laden statt zum Junggesellinnenabschied zur Botox-Party. Bitte ohne mich! Und wieder andere lassen sich die Lider straffen, das Fett absaugen oder die Nase »korrigieren«. Jede(r) fünfte in meinem Umfeld hat sich bereits Botox und/oder Hyaluron spritzen lassen oder denkt zumindest darüber nach. Sind die etwa alle bekloppt? Offenbar nicht. Denn längst schon sind Schönheitsoperationen gesellschaftsfähig geworden. Immer mehr Deutsche legen sich begeistert unters Messer. Im Jahr 2015 sollen es rund 80 000 Eingriffe gewesen sein. Eine für mich erschreckende Zahl.

Es gibt sicher Fälle, in denen plastisch-chirurgische Operationen angebracht sind. Nach einem Unfall oder einer Brandverletzung etwa. Ebenso wie bei schweren Missbildungen, welche die Seele des Betroffenen verletzen. Doch heute wird fröhlich geschnibbelt und geschnippelt, gespritzt und ganzkörpergetunt, was der Geldbeutel hergibt. Ekelhaft! Wer sich das alles nicht leisten kann, brutzelt wenigstens unter dem Toaster, bis er ledrig braune Haut bekommt, die so manchem Hendl auf der Wiesn Konkurrenz macht. Und wundert sich dann über sein »altes« Aussehen und warum sich die Krampfadern auf Armen und Beinen ein munteres Stelldichein geben. Muss ich noch mehr sagen? Bitte, du hast es so gewollt …

 

Aufgespritzte Schlauchlippen sind nicht sexy!

Interessant ist, dass den wenigsten in ihrem Jugendwahn gefangenen »Botox-Opfern« aufzufallen scheint, dass ihre Gesichter mehr und mehr einer Horrormaske ähneln. Wenn du einen Teil deiner Gesichtsmuskeln lähmst, versuchen andere Muskeln nämlich, das Regiment zu übernehmen. Das Ergebnis sind deformierte Fratzen, die nicht nur Kleinkinder erschrecken. Viel zu oft habe ich auf Events schon neben irgendwelchen Promis gestanden und mir vor Schreck fast in den Schlüpper gepullert, wenn sie mir plötzlich ihr Gesicht zuwandten. Aber vielleicht ist das ja Absicht? So entsteht erst gar keine Nähe zum »alten Volk«. Außerdem ist ja bald Halloween. Ich könnte mir vorstellen, dass man mit einem Botox-Gesicht dann eine Menge Geld sparen kann.

Absolut unsexy finde ich auch diese Pornoschlauchlippen, die derzeit so en vogue sind. Als ob wir unter den Duckfaces auf Instagram noch nicht genug gelitten hätten. Oh nein! Nun zaubern sich die (nicht nur) jungen Dinger auch noch dauerhaft Reifenlippen ins Gesicht, die jedem Erotikfilmchen aus den Achtzigerjahren zur Ehre gereichen würden. Jedes Mal, wenn ich eine Dame mit solchen Schlauchlippen sehe, warte ich auf den Klempner, vor dem die Trägerin dieser Lippen dann in die Knie geht … Mir wurde übrigens kürzlich angeboten, mir »zu Testzwecken« ebenfalls die Lippen aufspritzen zu lassen und anschließend im Blogzine darüber zu berichten. Natürlich habe ich dankend abgelehnt. Und zwar mit folgenden Worten: »Danke, es ist sehr lieb von Ihnen, an mich zu denken. Aber wenn meine Lippen noch voller werden, brauche ich dafür einen Waffenschein.« Ich mag meinen Mund nämlich so, wie er ist.

 

Selbstbewusstsein? – Fehlanzeige!

Und damit treffen wir auch schon den Nerv der ganzen Geschichte. Ich glaube nämlich nicht, dass der anhaltende Jugendwahn die Folge einer absurden gesellschaftlichen Erwartungshaltung ist. Im Gegenteil! In meinen Augen ist diese verkrampfte Sehnsucht nach ewiger Jugend, Schönheit und einer zweifelhaften Perfektion einzig und allein hausgemacht. Von Menschen, die sich über ihr Äußeres definieren und für die Selbstbewusstsein ein Fremdwort ist. Und diesen Komplex auf die Gesellschaft übertragen, wo er sich dann ausbreitet wie ein Virus. »Mit 50 ist man endlich die Person, die man immer sein wollte«, soll die Schauspielerin Andie McDowell einmal gesagt haben. Ob das stimmt, kann ich dir erst in rund 15 Monaten sagen. Wenn ich selbst meinen 50. Geburtstag feiere. Zwei Dinge kann ich dir aber schon jetzt verraten:

1. Ich freue mich auf meinen 50. Geburtstag und werde ihn gebührend feiern. Ich meine: Hey, ein halbes Jahrhundert auf diesem wunderbaren blauen Planeten – wenn das kein Grund zum Feiern ist!?

2. Das Älterwerden hat viele schöne Seiten, die von viel zu vielen jungen Hüpfern fahrlässig unterschätzt werden. Das weiß auch die liebe Ines von meyrose und hat daher zur → Blogparade rund um die schönen Seiten des Älterwerdens aufgerufen. Der heutige Artikel ist mein Beitrag dazu. Sehen wir uns einige dieser schönen Seiten doch einmal gemeinsam an!

 

Meine Top 10 der schönen Seiten des Älterwerdens

  1. Ich weiß, wer ich bin, was ich kann und was ich will. Und was nicht. Ich weiß, woher ich komme, wo ich stehe und – vielleicht – sogar, wo mein Weg mich hinführt. Letzteres ist im Moment in der Schwebe, aber das beunruhigt mich nicht. Denn nichts und niemand kann mir die Freude am Leben, am Lebendigsein nehmen. Ich genieße die Freiheit zu sagen, was ich denke und zu leben, was ich fühle. Voll Stolz blicke ich zurück auf die Jahre, die hinter und voll Neugier auf die Jahre, die vor mir liegen.
  2. Die meisten meiner Träume konnte ich ausleben. Mutig, ohne zu zögern. Mit dem nötigen Maß an Verrücktheit. Ich habe mit Haien gespielt, mit den Wölfen geheult und eine Hummel beerdigt. Bin auf Berge geklettert, durch Flüsse, Seen und Meere geschwommen und habe in der Wüste Sandburgen gebaut. Ich habe mit einem Scheich geflirtet, von der Chinesischen Mauer gespuckt und mich in einer Pyramide verlaufen. Nicht alles davon war immer so traumhaft, wie ich es mir ursprünglich ausgemalt habe. Dennoch war jede dieser Erfahrungen eine wertvolle Bereicherung meines Lebens. Und das Schönste: Ich habe noch viele weitere Träume, die ich mir erfüllen möchte.
  3. Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz sind nichts mehr, worum ich noch groß kämpfen muss. Ich liebe mich so, wie ich bin. Mit all meinen Ecken und Kanten. Und auch mit meinen Rundungen.
  4. Es ist mir egal, ob andere mich, meine Art oder meinen Stil mögen. Ja, ich bin für viele oft zu laut, zu wild, zu intensiv … Na und? Niemand ist gezwungen, verrückt nach mir zu sein! In Deutschland leben aktuell 81 337 549 Menschen, davon sind 51 Prozent Frauen. Darunter sollte sich doch die eine oder andere Alternative für deine neue beste Freundin finden, wenn ich es nicht bin.
  5. Über die Jahre bin ich toleranter geworden. Jeder Jeck is anners! Dummheit ärgert mich zwar immer noch, aber ich kann heute eleganter damit umgehen als mit 20.
  6. Bei aller Liebe zur Toleranz habe ich gelernt, mich von Menschen zu trennen, die mir nicht gut tun. Energieräuber haben keine Chance mehr bei mir. Wenigstens nicht lange.
  7. Obwohl von Geburt an ein HB-Männchen, das schnell in die Luft geht, betrachte ich mit 48 viele Dinge gelassener als in jüngeren Jahren. Manches regt mich immer noch auf, aber es blockiert mich nicht mehr. Stattdessen versuche ich, meinen Ärger oder Kummer in Worte zu fassen und eine Lösung für das jeweilige Problem zu finden. Lässt sich ein Problem nicht lösen (Tod, Krankheit …) rebelliere ich nicht mehr tage- oder wochenlang innerlich dagegen, sondern versuche, mich darauf einzulassen und die Situation so anzunehmen, wie sie ist.
  8. Als »Digital Native since 1969« bin ich überaus dankbar dafür, dass ich die Zeit vor Smartphone, Google und Instagram bewusst erleben durfte. Nicht nur, dass es einfach wundervoll und aufregend war, diese digitale Revolution von Anfang an begleitet zu haben. Nein, ich bin darüber hinaus bei aller Begeisterung für die moderne Technik auch sehr glücklich darüber, meine Kindheit und Jugend ohne den ganzen Kram verbracht zu haben. Analoges Leben rockt!
  9. Die Nummer mit der Menopause ist zwar nicht witzig. Im Moment fühle ich mich oft wie ein Pubertier, nur ohne Pickel … Aber ich freue mich auf den Tag, an dem meine Menstruationstasse im Bayerischen Nationalmuseum einen eigenen Schaukasten bekommt. Verdient hätte sie es.
  10. Last, but not least: Sex wird mit dem Älterwerden immer besser. Zwar hatte ich schon immer tollen, all meine Sinne erfüllenden Sex, aber irgendwie habe ich seit ein paar Jahren das Gefühl, dass er intensiver wird. Hach! Wie soll das erst mit 60 werden? Kicher …

 

Sissis Resümee

Zugegeben: Es gibt Tage, an denen ich mich nach dem Körper meines jugendlichen Ichs sehne. Zumindest, was Gesundheit, Kondition, Fitness und Beweglichkeit angeht. Aber an den meisten Tage fühle ich mich wohl in meiner Haut. Jung ist, wer sich jung fühlt. Und das tue ich und werde ich immer tun. Versprochen! Die »Weisheit des Alters« verleiht dem Ganzen dabei erst die Würze. Denn auf meine gesammelten Erfahrungen möchte ich nicht verzichten. Nicht einmal auf die Fehler, die ich in meinem Leben begangen habe und ganz sicher noch begehen werde. Diese Fehler haben mich nämlich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Und ich gefalle mir ziemlich gut.

Ja, ich bin ein Mitglied der Generation Botox. Aber ich habe für mich akzeptiert, dass der Kampf gegen die Zeit und die Schwerkraft nicht zu gewinnen ist. Und so werde ich auch weiterhin versuchen, eine glückliche »alte Schachtel« zu sein, in deren Innern sich die köstlichsten Pralinen verstecken. Du musst mich nur öffnen und dich überraschen lassen!

XOXO

Sissi

[Artikelbild: Tiko Giorgadze.]

 

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