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Vorsicht, Blogger!

Sissi St. Croix
Vorsicht, Blogger!

In den letzten Wochen habe ich mir immer wieder Gedanken darüber gemacht, welche Regeln für die Zusammenarbeit von Bloggern, Agenturen und Unternehmen gelten sollten. Nur wenige Firmen haben einen eigenen Kodex für Blogger Relations. Das ist schade! Denn auf der einen Seite sind wir Blogger begehrte Leute. Kein Wunder: Die meisten von uns arbeiten »für lau«, bekommen anstelle eines Autorenhonorares nur ein paar – nicht selten billige – Produkte dafür, dass sie den Markenbekanntheitsgrad großer Konzerne erhöhen, und schauen ansonsten dumm in die Röhre.

Auf der anderen Seite erzielen viele von uns innerhalb ihrer Zielgruppe eine maximale Reichweite, sitzen im Durchschnitt vier bis sechs Stunden an einem Artikel (Produkttest, Fotografie, Bildbearbeitung, Schreiben …) und erhalten im Gegenzug dafür einen Warenwert, der nicht einmal dem gesetzlichen Mindestlohn entspricht. Wenn man den Arbeitsaufwand von uns Bloggern in ein realistisches Verhältnis zum erhaltenen Produktwert setzt, wird eines mehr als deutlich: Auch im Jahr 2016 haben viele Firmen, Agenturen und Unternehmen leider immer noch nicht richtig verstanden, wie man mit uns Bloggern umgehen muss. Oder besser gesagt: Wie man mit Bloggern umgehen sollte.

 

Die meisten Blogger sind mit sehr viel Herzblut bei der Sache

Die meisten Blogger sind mit sehr viel Herzblut bei der Sache

 

Blick in die Bloggerwelt

Viel zu oft fühle ich mich wie in einem falschen Film, wenn wir Blogger uns untereinander über unsere Erfahrungen mit Unternehmen austauschen. In einem Film, der den Titel »Was Unternehmen schon immer über Blogger wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten« trägt. Dabei wäre es doch so einfach, mit uns zu sprechen! Neben klassischen, heutzutage fast schon überholten Kommunikationsmedien wie Telefon, Fax (ja, die Dinger gibt es noch!) oder E-Mail stehen immerhin auch PN, Chat bzw. Skype und WhatsApp zur Verfügung. Und zur Not könnte solch ein Social Media Marketing Manager ja auch einmal selbst einen Blick in die Blogs werfen, die mit ihm bzw. seinem Arbeitgeber kooperieren wollen.

Oder zumindest unsere Anfragen konzentriert und sorgsam lesen. Dann wüssten die lieben Firmenmenschen nämlich, wer wir sind, wo im World Wide Web sich unsere Blogs tummeln, worauf unsere inhaltlichen Schwerpunkte liegen (und damit kennen sie im besten Fall auch unsere Zielgruppen) und was wir mit unserer Arbeit bewirken wollen. Aber nein, das wäre ja viel zu viel Mühe für diese armen Menschen, die laut → Gehalt.de im Schnitt selbst in den unteren Hierarchieebenen rund 43 500 Euro Brutto im Jahr verdienen. Viel tun müssen sie dafür scheinbar nicht.

Stattdessen müssen sich nicht nur Organisatoren von Bloggertreffen auf der Suche nach Kooperationspartnern mit fast schon absurdem Managersprech herumplagen. So wird zum Beispiel locker-flauschig nach dem ROI für das Unternehmen gefragt (Return-on-Investment, die prozentuale Relation zwischen Investition und Gewinn). Hallo, sind wir hier im BWL-Kurs? Woher sollen wir Blogger wissen, was genau für eine Firma herausspringt? Das müssen die, bitte sehr, schon schön brav selbst ausrechnen! Aber vielleicht waren die in der Schule ja alle schlecht in Mathe?

 

Zahlen sind nicht alles …

Überhaupt: Es gibt wichtigere Dinge im Leben als nackte Zahlen. Natürlich leuchtet es mir ein, dass Unternehmen unsere Media Kits sehen wollen. Obwohl ich durch den Blogabsturz immer noch keines online gestellt habe, weil derzeit andere Dinge eine höhere Priorität besitzen. Dieser Artikel zum Beispiel. Überdies bin ich der Meinung, dass Zahlen nur wenig darüber aussagen, was ein Blog für eine Marke und/oder ein Produkt leisten kann! Denn was sagt es über einen Blogger aus, der zwar mit 10 000 oder 20 000 »Followern« auf Facebook glänzen kann, dessen Blog aber kaum gelesen wird, weil er in fast schon unverständlichen Sätzen schreibt, die nur mit viel Mühe noch als Deutsch zu erkennen sind?

Nichts, oder? Zumindest nichts Gutes. Einmal abgesehen davon, dass die meisten »Follower« uns Bloggern gar nicht wirklich folgen, sondern sich nur auf den diversen Fanpages herumtreiben, um möglichst viele Gewinne abzustauben. In Gewinnspielen, die von den Unternehmen finanziert werden. Gekauft wird im Anschluss jedoch nichts. Wo bleibt denn da bitte der ROI? Nun? Ich höre! Ach, ich bekomme keine Antwort. Komisch …

Wieso erklärt den Unternehmen nicht mal jemand, wie der Hase hoppelt? Warum fragen die Unternehmen uns Blogger nicht, wie wir ticken? Unter uns gibt es viele aufrichtige Blogger, die sich über die Zeit eine treue Community aufgebaut haben, wie es so schön auf Neudeutsch heißt. Echte Fans, von denen viele im realen Leben sogar zu Freunden geworden sind. Denen man zum Geburtstag gratuliert und die man anruft, wenn die geliebte Oma gestorben ist. Echte Beziehungen, die auf Respekt, Zuneigung und Vertrauen basieren – nicht auf Gewinnspielen oder gar auf gekauften Likes.

 

Vertrauen heißt das Zauberwort

Apropos Vertrauen … Ein Blogger, der offen und ehrlich ist, kommt authentisch rüber. Die Leser vertrauen ihm, wenn er Empfehlungen ausspricht, Vergleiche zieht oder auch einmal vom Kauf eines Produktes abrät. Meine Leser wissen ganz genau, dass ich ein Produkt nur dann über den grünen Klee lobe, wenn ich aufrichtig begeistert davon bin. Dennoch kann ich keine Garantie dafür geben, dass sie es nachkaufen. Warum nicht?

Nun, manche Leser haben bereits ihre Lieblingsprodukte gefunden. Das ist ein bisserl so wie bei den Coca-Cola- und Pepsi-Trinkern: Wer Coca Cola liebt, wird eine Pepsi ablehnen. Wer Pepsi-Liebhaber ist, wird sich beim Genuss einer Coca Cola schütteln. Trotzdem kann ich versuchen, beiden Gruppen eine dritte Cola-Marke schmackhaft zu machen. Wenn sie mir schmeckt. Oder mit anderen Worten: Unternehmen sollten vor quantitativen Zielen nicht die qualitativen Ziele aus den Augen verlieren! Nicht auf die »Follower«-Zahl kommt es an, sondern darauf, ob ein Blogger authentisch ist. Denn nur ein authentischer Blogger sorgt für Markenbekanntheit und Imagegewinn.

 

Blogger haben ihren eigenen Kopf – und der lässt sich nicht kaufen

Jetzt könnte man vielleicht denken, dass ich für meine Berichte bezahlt werde oder bezahlt werden möchte. Nö, das ist keineswegs der Fall! Zumindest im Moment nicht. Klar wäre es schick, sich ein kleines Zubrot zu verdienen. Wer mag Geld nicht? Auf der anderen Seite bewahre ich mir meine journalistische Unabhängigkeit und kann weitestgehend nur über die Dinge schreiben, die mir am Herzen liegen. Weitestgehend – warum diese Einschränkung? Mei, wenn ich auf Bloggertreffen gehe, bekomme ich natürlich auch Produkte, mit denen ich so überhaupt nichts anfangen kann. Es liegt mir allerdings auch nichts daran, mich mit Verrissen zu profilieren.

Zu Beginn meiner Bloggerkarriere hat mich das verunsichert, für zukünftige Bloggertreffen habe ich selbstbewusst vereinbart, dass ich mir in solchen Fällen Gastblogger oder Mittester suchen kann. Mein Team und ich möchten nur mit Firmen zusammenarbeiten, von deren Produkten wir überzeugt sind. Lieber berichte ich »in Produkten unterhonoriert« über die vegane Mayonaise eines jungen, mir persönlich sympathischen Start-ups im Wert von 4,95 Euro und kann schreiben, was ich will, als dass ich mich durch Chemiekosmetik für 300 Euro bezirzen lasse – das bin ich meinen Lesern – und mir selbst! – schuldig.

 

Keine Angst vor Verrissen

Natürlich kann es vorkommen, dass ein Produkt überhaupt nicht überzeugt. Ein Unternehmen muss damit leben können, dass ein Blogger seine Produkte nicht mag. Da macht es wenig Sinn, den Testbericht vor Veröffentlichung lesen zu wollen. Leute, ihr gebt hier kein Interview, wo ihr einen rechtlichen Anspruch auf ein Gegenlesen vor Veröffentlichung habt! Und auch dieses dient in erster Linie lediglich zum Ausräumen von Missverständnissen, nicht der Einflussnahme.

In dem Moment, in dem ein Produkt das Warenlager eines Konzerns verlassen hat, muss dieser damit leben, dass sich ein Blogger seine eigene Meinung darüber bildet. Ohne Wenn und Aber! In unserem Team bemühen wir uns ohnehin um ein faires Miteinander. Wenn ein Produkt zum Beispiel grundsätzlich gut ist, aber der Pumpspender leider leckt, sodass die Hälfte des Produktes nicht genutzt werden kann, dann sagen wir das auch. Letztendlich dient diese konstruktive Kritik der Verbesserung des Produktes.

Viel schlimmer als eine solche, durchaus hilfreiche Kritik finde ich all die raffgierigen Blogger, die jedes Produkt belobhudeln. Weil es umsonst war. Und sie Angst haben, beim nächsten Produkttest des Unternehmens nicht berücksichtigt zu werden. Ganz gleich, ob das Produkt der dreijährigen Tochter einen Stromschlag versetzt hat (Stichwort: brennende Toaster) oder eine hormonelle Wirkung besitzt, die langfristig vielleicht aus dem Sohn eine Tochter macht und ganz nebenher noch unsere Gewässer verschmutzt …

Wollen die Unternehmen wirklich Lob um jeden Preis? Ist es nicht besser zu erfahren, was wir Konsumenten wirklich von einem Produkt erwarten? Was würde es nützen, wenn ich Leserin XYZ ein Produkt empfehle und sie aufgrund der darin enthaltenen Inhaltsstoffe allergisch reagiert? In meinen Augen macht es für alle Seiten mehr Sinn, ein Produkt gewissenhaft zu überprüfen: Für mich, denn dadurch erhalte ich mir meine Glaubwürdigkeit. Für meine Leser, die mir vertrauen. Und nicht zuletzt auch für die Unternehmen, die durch konstruktive Kritik die Chance erhalten, die Mängel eines Produktes zu beseitigen.

 

Kontaktmöglichkeiten schaffen

Selbst bei Unternehmen, bei denen für unser Team ansonsten alles stimmt (Inhaltsstoffe, Produktqualität, Nachhaltigkeit etc.), ist es oft schwer, einen Kontakt herzustellen und nicht ins Leere zu laufen. Ich spreche hier nicht von Kleinunternehmen, denn die antworten meist sofort und das auch ebenso freundlich wie höflich. Viele mittelständige Unternehmen oder Großkonzerne dagegen besitzen immer noch keinen Ansprechpartner für Blogger Relations, wissen auch nicht, was sie mit entsprechenden Anschreiben anfangen sollen. Peinlich …

Diesen Firmen kann ich nur raten: Stellt bitte kompetentere Mitarbeiter ein! Oder schickt eure Mitarbeiter zumindest auf Schulungen, damit sie wissen, wie sie mit uns sprechen sollen! Lassen wir einmal den → wilden Mischmasch aus »Duzen« und »Siezen« außen vor, wenn dieser auch oft zu Irritationen führt (auf Facebook werde ich von den Unternehmen konsequent geduzt und erhalte dann nach dem Erstkontakt meist E-Mails mit der Anrede »Sehr geehrte Frau Sissi …«. Frau Sissi? Haha! Zieht euch bitte den Stock aus dem Ar… und bietet direkt auf euren Websites Ansprechpartner an. Ansprechpartner, bei denen sofort klar wird, ob man mit ihnen per »Du« oder »Sie« ist. Sagt uns, was ihr euch von uns Bloggern erhofft – und was ihr im Gegenzug dazu zu leisten bereit seid. Und seid dabei bitte nicht knauserig.

Keiner von uns Bloggern ist Unternehmen böse, wenn sie (noch) kein Budget für Blogger Relations haben. Böse werden wir nur, wenn ihr uns mit Pröbchen veralbert und dafür einen Bericht erwartet, der uns vier Stunden Arbeit kostet. Den Bericht vorher gegenlesen und korrigieren wollt. Uns zwingen möchtet, verbotene und für beide Seiten kontraproduktive »dofollow«-Links zu setzen. Vergesst bitte nie: Blogger sind wichtige Multiplikatoren. Und »nebenbei« übrigens auch noch Menschen! Als solche wollen wir anständig und mit Respekt behandelt werden. Viele von uns streben langfristige Partnerschaften mit ihren Lieblingsunternehmen an. Auch das sollte angemessen gewürdigt werden.

 

Der Schlüssel liegt in gegenseitiger Transparenz

Blogger Relations werden im Firmenalltag immer wichtiger. Doch ohne Transparenz geht es dabei nicht: Die Interessen sämtlicher Beteiligten müssen für die Leser klar erkennbar sein. Es kann nicht angehen, dass sich ein Blogger insgeheim seinen Tahiti-Urlaub von einem Großkonzern finanzieren lässt und seinen Lesern erzählt, wie toll dessen Produkte sind, während deren Herstellung in Wirklichkeit mehrere gefährdete Arten ausrottet. Wir von Green. Urban. Lifestyle. (ehemals BANANENSCHNECKERL) lehnen jegliche verdeckte Finanzierung ab. Sollten wir uns jemals für eine Berichterstattung bezahlen lassen, werden unsere Leser genau wissen, wer uns wofür bezahlt hat. Dabei sind unsere Grenzen sehr eng gesteckt.

Ein Beispiel: Kürzlich wollte ein Anbieter veganer Bratwürste von mir wissen, wie hoch der Anteil unserer homosexuellen Leserschaft ist. Öhm … Das weiß ich nicht. Und es ist mir auch vollkommen egal. Das Unternehmen aber wollte mir nichts zum Verkosten schicken, solange ich diese Zahlen nicht beibringe. Der Grund: An Homosexuelle verkauft die Firma nicht. Eha! Ich habe dann dankend verzichtet. Denn mir ist es vollkommen egal, wer wen wie liebt, solange alle Beteiligten glücklich sind. Sollen die sich doch ihre heterosexuellen Würstchen in die Haare schmieren! Mal ganz ehrlich: Wer bei der Würstchenproduktion Homophobie entwickelt, sollte vielleicht mal zum Psychiater gehen. Und keine Blogger nerven.

 

Sissis Resümee

Ich könnte jetzt noch stundenlang über die nicht ausgereiften Beziehungen zwischen Bloggern und Unternehmen schwadronieren. Aber ich denke, es ist auch so schon sehr deutlich geworden, worauf ich hinaus will. Blogger Relations stehen nach wie vor ganz am Anfang. Viele Firmen müssen noch ebenso viel dazulernen wie wir Blogger auch. Nur durch eine gegenseitige offene und ehrliche Kommunikation können wir für beide Seiten das Bestmögliche herausholen. Ganz im Sinne unserer Leser. Denn um die geht es schließlich. Nicht um Verkaufsergebnisse, nicht um »Follower«-Zahlen. Oder bin ich zu naiv?

Was denkst du über Blogger Relations? Ich freue mich wie immer über deinen Kommentar!

XOXO

Sissi

[Fotos: Brooke Cagle.]

 

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