Mystisch: Die Menhire von Clendy
Wilde Weiber wollen sich nicht langweilen. Also haben wir uns nach dem Besuch der Grotten von Vallorbe noch einen Ausflug zu den Menhiren von Clendy gegönnt. »Menhir«, ein aus dem Bretonischen entlehntes Fachwort, bedeutet »langer Stein«. Und lang bzw. ganz schön hoch sind die 45 Hinkelsteine auch, die auf einer Waldlichtung am Stadtrand von Yverdon aufgereiht stehen. Der höchste misst an die viereinhalb Meter. Einige Menhire sind bearbeitet, besitzen einen angedeuteten Kopf und menschliche Umrisse. Ein Rätsel aus Stein: Was dachten sich unsere Vorfahren dabei? Dienten die mysteriösen Brocken aus Granit und Gneis kultischen Zwecken, markierten sie heilige Stätten oder hatten sie eine ganz andere Bedeutung?
Wir wissen es nicht. Bis heute hüten die steinernen Riesen der Jungsteinzeit ihr Geheimnis. Wir wissen nur, dass die vor über 6.000 Jahren am Ufer des Neuenburgersees errichteten 45 Statuenmenhire als bislang bedeutendste neolithische Fundstätte der Schweiz gelten. Entdeckt wurde das Alignement, wie lange Reihen von Menhiren auch genannt werden, im 19. Jahrhundert. Damals sank während der ersten Juragewässerkorrektion, die der Eindämmung von Hochwasser dienen sollte, der Wasserspiegel des Neuenburgersees. So wurden die einst überfluteten Uferbereiche sichtbar und die Menhire von Clendy kamen zum Vorschein.
Die Aufregung in der Bevölkerung war im Jahr 1887 sicherlich groß. Dennoch geriet die archäologische Stätte erneut in Vergessenheit. Erst 1975 wurde die Anlage von dem Geologen Jacques-Henry Gabus wiederentdeckt, nachdem sie lange Zeit unter dichtem Unterholz verborgen war. Die umgestürzten Steine wurden aufgerichtet und als Überreste eines prähistorischen Monuments klassifiziert. Der Geologe verglich die Anlage mit der bekannten Steinsetzung von Carnac und vermutete eine ähnliche archäoastronomische Ausrichtung.
Was ist Archäoastronomie?
Die Archäoastronomie ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das sich mit der Untersuchung astronomischer Kenntnisse und Praktiken in vor- und frühgeschichtlichen Kulturen beschäftigt. Archäoastronomen versuchen, anhand archäologischer Funde wie zum Beispiel
- Megalithbauten: Stonehenge, die Pyramiden von Gizeh
- Höhlenmalereien: mit astronomischen Darstellungen
- Artefakte: wie die Himmelsscheibe von Nebra
Rückschlüsse auf das astronomische Wissen und die religiösen Vorstellungen früher Kulturen zu ziehen.
Archäologische Einordnung
Wenn auch die Menhire von Clendy mit Carnac keines falls »mithalten« können – immerhin gehören die 3.000 Monolithe von Carnac zu den spektakulärsten Megalithanlagen der Welt – strahlt auch das Alignement von Clendy eine eigentümliche, die Seele berührende Faszination aus. Die beiden 50 Meter langen Steinreihen und die vier einen Halbkreis bildenden Steingruppen wirken zugleich düster und erhaben, was durch den bei unserem Besuch herrschenden Nieselregen noch betont wurde.
Ob die beeindruckenden, bis zu fünf Tonnen schweren Statuenmenhire komplett sind, ist ebenso ungewiss wie die Frage, welchen Zwecken sie dienten. Ihre genaue Bedeutung ist bis heute nicht vollständig geklärt. Es wird aber vermutet, dass sie religiöse oder astronomische Zwecke hatten. Im Jahre 1981 wurden die Menhire von Clendy durch die Kantonsarchäologie untersucht. Leider konnte die Baugeschichte der megalithischen Stätte nicht rekonstruiert werden. Und jetzt wird es geradezu skandalös:
Fünf Jahre später, also 1986, wurden die Menhire von einem lokalen Bauunternehmer »repositioniert« – und das ohne jegliche Berücksichtigung wissenschaftlicher Grundsätze! Das ist umso bedauerlicher, als vor Ort sowohl mehrere Fundationsgruben als auch die zugehörigen Keilsteine gefunden worden waren. Überdies hatte zunächst Jacques-Henry Gabus, später dann auch Louis Voruz, den Fundort aller Menhire genauestens kartiert. Die historisch genaue Anordnung der Monolithen wäre demnach problemlos möglich gewesen.
Zum Glück konnte dieser Fehler später korrigiert und die ehemaligen Alignementachsen rekonstruiert werden. Allerdings wurden die kleinsten Menhire durch Repliken aus Beton ersetzt, um das Diebstahlrisiko zu minimieren. Ihre Originale befinden sich im Museum von Yverdon-les-Bains.
Praktische Informationen
Anreise
Du erreichst die Menhire von Clendy ganz bequem und umweltfreundlich mit dem ÖV via Yverdon-les-Bains (Haltestelle: »Yverdon-les-Bains, Clendy«). Anschließend folgst du einem am Seeufer entlangführenden fünfminütigen Fußweg durch das Naturschutzgebiet Grande Cariçaie zu den Monolithen.
Wenn du, so wie wir, mit dem Auto unterwegs bist, fährst du bis zum Parkplatz »Parking de la Plage d’Yverdon« und gelangst von dort zu Fuß in rund zehn bis zwölf Minuten zur jungsteinzeitlichen Megalithanlage.
Keine Angst: Du kannst den Weg gar nicht verfehlen, es sind überall Schilder aufgestellt. Sehr nützlich ist dennoch der touristische Plan von Yverdon-les-Bains, den du kostenlos herunterladen kannst (PDF). Das hübsche Städtchen am Ufer des Neuenburgersees hat nämlich neben den Menhiren noch einiges mehr zu bieten! Aber dazu ein andermal mehr …
Schön finde ich, dass der Weg durchaus rollstuhlgängig ist. Auf der Lichtung könnte es nach einem kräftigen Regenguss zwar ein wenig matschig werden, doch hier hilft ein frühzeitiger Blick auf die aktuellen Wetterdaten.
Koordinaten
540274 / 181352
Öffnungszeiten
Die Fundstelle der Menhire von Clendy ist rund ums Jahr 24/7 zugänglich.
Eintritt
Der Besuch der Menhire von Clendy ist kostenlos.
Weiterführende Informationen
Die Region Yverdon-les-Bains hat ein offizielles Tourismusbüro, wo du weitere Informationen erhältst:
Agence ADNV / Office du tourisme du Nord vaudois
Avenue de la Gare 2
1400 Yverdon-les-Bains
Telefon: +41-(0)24-423-03-13
E-Mail: tourisme@adnv.ch
Website: www.yverdonlesbainsregion.ch
Impressionen
Sissis Resümee
Die Menhire von Clendy sind ein beeindruckendes Zeugnis menschlicher Kultur und Baukunst. Obwohl die archäologische Stätte noch immer viele Fragen aufwirft, übt der Ort eine unwiderstehliche Faszination aus. Viele Menschen betrachten ihn sogar als Kraftort, schwören darauf, inmitten der Steinriesen wohltuende Wellen zu spüren. Bisweilen werden die Menhire sogar als »helvetisches Stonehenge« bezeichnet.
Obwohl ich mir einbilde, ein Gespür für derlei Dinge zu besitzen, konnte ich nichts davon fühlen. Sehr wohl aber war mir das Alter der Megalithanlage bewusst und ich habe mir auf meinem Rundgang ausgemalt, wie das Leben und die Weltanschauung unserer Vorfahren wohl aussahen. Ich bin froh, dass die archäologische Stätte allen Menschen offen steht, die sich für die prähistorische Vergangenheit der Region interessieren.
Angeblich sind die Menhire von Clendy bei den jungen Menschen von Yverdon-les-Bains ein beliebter Picknickplatz. Und warum auch nicht? Mir gefällt der Gedanke, dass ein möglicher Versammlungsort der Urzeit in der Moderne von neuem Leben erfüllt wird.
Weit weniger angenehm finde ich es jedoch, dass ich vor einem der Steinriesen eine tote Maus gefunden habe, die dort garantiert nicht von allein gestorben ist. Was soll ich sagen? Menschen können furchtbar sein. Da sind die in Ehrfurcht und Liebe dargebotenen Blumen und Kräuter, die wir ebenfalls am Fuße einiger Menhire entdeckt haben, doch wesentlich hübscher, oder?
XOXO
Sissi
[Ausflugsempfehlungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Quellen: Office du tourisme du Nord vaudois, Richard Walker: »Megalithanlage Yverdon-les-Bains-Clendy. Analyse des Designs und möglicher archäoastronomischer Aspekte«, Rifferswil 2014 und eigene Recherche. Fotos: Sissi St. Croix.]